Die Medizin hat das Krafttraining entdeckt: Unsere Muskeln sind mehr als bloße Zugmaschinen – ihre Botenstoffe stärken das Herz, senken den Blutdruck und lassen Fettdepots schmelzen.
Das Herz raste, die Brust schnürte sich zu – noch heute erinnert sich Korinna Praast ganz genau an den Abend des 26. Oktobers 2009. Ihr Mann hatte sie damals sofort ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde sie eine Woche lang durchgecheckt. Ultraschall, Belastungs- und Langzeit-EKG brachten eine Herzrhythmusstörung ans Licht. Der Arzt verordnete der heute 33-Jährigen aus Rees am Niederrhein Betablocker, um die Herztätigkeit zu regulieren. Bis sich der Körper auf die Tabletten eingestellt hatte, sollte Korinna Praast auf Anraten ihres Arztes komplett auf Sport verzichten. In der Folge geriet sie in ein körperliches und psychisches Dauertief
Im September 2011 tastete sie sich dann mit leichtem Zirkeltraining an den Kraftsport heran. „Anfangs war ich nach dem Training total ausgepowert, und mein Herz schlug furchtbar schnell“, erzählt Praast. Doch schon nach einem Monat fielen ihr die Übungen leichter, das Herzrasen blieb aus. Nach nur vier Monaten Sport hatte sich ihr Blutdruck vollständig stabilisiert, sie konnte die Betablocker absetzen.
Noch immer haftet gezieltem Muskelaufbau der Ruf an, ein Hobby für Eitle zu sein
Doch in den vergangenen Jahren haben Mediziner mehr und mehr die Heilkraft des Muskeltrainings entdeckt: Es schützt nicht nur vor Rücken- und Gelenkschmerzen, sondern vor so unterschiedlichen Leiden wie Herzproblemen, Diabetes, Osteoporose, Alzheimer und Depression. Muskeln sind nicht die bloßen Zugmaschinen, als die sie lange angesehen wurden: Sie bilden regelrechte Apotheken im Körper, die heilende Stoffe in die Blutbahn aussenden.
„Der Skelettmuskel ist ein Organ, das hormonähnliche Stoffe ausschüttet“, betont die dänische Medizinprofessorin Bente Pedersen. Sie entdeckte mit ihren Kollegen an der Universität Kopenhagen die geheimen Botenmoleküle, die sie vor neun Jahren „Myokine“ tauften. Seither boomt dieses Forschungsgebiet.
Wissenschaftler haben bereits Hunderte Proteine identifiziert, die unsere Kraftpakete ausschütten
Von einem guten Dutzend haben sie die Wirkweise auf Leber, Bauchspeicheldrüse, Knochen, Fettgewebe, Herz, Blutgefäße und eventuell Gehirn entschlüsselt. „Diese Botenstoffe sind der Grund dafür, dass Bewegung bei vielen Krankheiten hilft“, ist Pedersen überzeugt. Denn der Muskel sendet die Myokine dann aus, wenn er sich kontrahiert, also arbeitet. Je trainierter er ist, umso effektiver funktioniert er nicht nur als Zugmaschine, sondern auch als heilender Botschafter im Köper.
Interleukin-6 ist das Wundermittel im körpereigenen Medizinschrank
Das wohl wichtigste und am besten erforschte Myokin ist Interleukin-6 (IL-6). Es hilft entscheidend mit, dem krank machenden Einfluss des Bauchfetts entgegenzuwirken. Dieser tief sitzende Körperspeck produziert entzündungsfördernde Stoffe, unter anderem den berüchtigten Tumor-Nekrose-Faktor (TNF). Ein Übermaß an Fettgewebe führt zu einem Übermaß an TNF im Blut. Das wiederum fördert chronische Entzündungen, einen Hauptverursacher für Altersdiabetes und Arterienverkalkung mit all ihren Folgeerscheinungen: von Impotenz und Brustschmerz bis Herzinfarkt und Schlaganfall.